Der Preis und seine Geschichte

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Aus Anlass des Stadtjubiläums 1993 hat der Rat der Stadt Münster einen Preis für Europäische Poesie gestiftet. Ausgezeichnet werden damit ein international rezipiertes lyrisches Werk und dessen Übersetzung; entweder der Gedichtband oder die Übersetzung sollen deutschsprachig sein. Seit 2011 werden nicht mehr nur europäische, sondern international tätige Lyrikerinnen und Lyriker ausgezeichnet. Dotiert ist der Preis mit 15.500 Euro, von denen jeweils 7.750 Euro an Autor und Übersetzer gehen.

 

Am Abschlusstag des Lyrikertreffens 1993 wurde der Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie erstmals an den italienischen Lyriker Andrea Zanzotto und seine Übersetzer Donatella Capaldi, Ludwig Paulmichl und Peter Waterhouse vergeben. Die folgenden Preisträger waren Inger Christensen / Hanns Grössel (1995), Zbigniew Herbert / Klaus Staemmler (1997), Gellu Naum / Oskar Pastior (1999), Hugo Claus / Maria Csollány und Waltraud Hüsmert (2001), Miodrag Pavlović / Peter Urban (2003), Daniel Bănulescu / Ernest Wichner (2005), Tomaž Šalamun / Fabjan Hafner (2007), Caius Dobrescu / Gerhardt Csejka (2009), Ben Lerner / Steffen Popp (2011), Derek Walcott / Werner von Koppenfels (2013), Charles Bernstein / VERSATORIUM und Tobias Amslinger, Norbert Lange, Léonce W. Lupette, Mathias Traxler (2015), Jon Fosse / Hinrich Schmidt-Henkel (2017), Eugene Ostashevsky / Monika Rinck und Uljana Wolf (2019), Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki / Uljana Wolf / Michael Zgodzay (2021) sowie Diane Seuss / Franz Hofner (2024).

Miodrag Pavlović

Geboren 1960 in Bukarest. Nach Ingenieursstudium freier Schriftsteller in Bukarest. Mitglied des rumänischen Schriftstellerverbandes. 2008 Stipendiat der Akademie Schloss Solitude. 2005 Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie. Buchveröffentlichungen in deutscher Übersetzung:

Peter Urban

Geboren 1941 in Berlin. Aufgewachsen in Halle an der Saale, Übersiedlung in den Westen 1957. Lyriker, Übersetzer, Literaturkritiker, Herausgeber, Mitglied des P.E.N. Deutschland. Seit 2003 Leiter des Literaturhauses Berlin. 2005 Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie. Peter Urban starb 2013 in Weidmoos/Vogelsberg.


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Улазак у Кремону

Преко светости је Inteletto d’amore
поново пронађен, као драгуљ
што је ђутао у полусенци.
Озбиљност химне заменила је блуд.
Богиња што коби, прихвата
подмлађеност сопствене слике

и сусретање љубавника на тргу
испред катедрале. Девојка је
надјачала стражу, ко је сад жртва?
Перуђино је уздигао лепоту
да му строго суди, да буде
изнад кајања, и преко људи.

Einzug in Cremona

Über der Heiligkeit ist das Inteletto d’amore
wiedergefunden, wie ein Edelstein
der im Halbschatten geschwiegen hatte.
Der Ernst des Hymnus hat die Unzucht ersetzt.
Die Göttin, das Verhängnis ahnend, empfängt
die Verjüngung des eigenen Bildes
und die Begegnung der Liebenden auf dem Platz
vor der Kirche. Das Mädchen hat
das Wachen überwunden, wer ist jetzt Opfer?
Perugino hat die Schönheit erhaben gemacht
auf daß sie streng über ihn richte, auf daß sie
über der Reue stehe, und über den Menschen.

Aus dem Serbischen von Peter Urban.
Aus: „Einzug in Cremona. Gedichte.“
Übersetzt von Peter Urban. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2002



Begründung der Jury

 

Miodrag Pavlović und sein Übersetzer Peter Urban erhalten den Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie für das Jahr 2003.

In dem ein halbes Jahrhundert umspannenden, durch eine Vielfalt lyrischer Formen und poetischer Ansätze schreitenden Werk von Miodrag Pavlović, dem großen alten Mann der serbischen Gegenwartslyrik, ist das vielschichtige Verhältnis von Individuum und Geschichte eine Konstante. In Versen von trockener Musikalität geht Pavlovic, geprägt von den tragischen Konflikten der slawischen Geschichte, illusionslos mit historischen und legendären Personen um, prüft ironisch Stoffe aus der Antike, dem Mittelalter und der Gegenwart und nutzt sie zur Formulierung aktueller Erfahrungen. Sein großer Kollege Vasko Popa hat dies so auf den Punkt gebracht: „Der Mündung des Schicksals entgegengehend, kommt Miodrag Pavlović, geführt von seinem klugen und strengen Vers, immer wieder an dessen Quelle selbst.“ Seine Poesie mit ihrer Konzeption von Mythos und Geschichte als Prüfstein dichterischen Sprechens leistet einen bedeutenden Beitrag zur modernen europäischen Dichtung.

Peter Urban, bekannt und gepriesen für seine Übersetzungen russischer Autoren – von Anton Chekov bis Daniil Charms – hat sich seit vielen Jahren für die Durchsetzung des Werks von Miodrag Pavlović im deutschsprachigen Raum eingesetzt. In seiner Übertragung erschien bereits 1968 eine erste Auswahl. Mit dem nun im Suhrkamp Verlag veröffentlichten Sammelband „Einzug in Cremona“ (2002) liegt ein eindrucksvolles Kondensat aus fünfzig Jahren lyrischen Schaffens vor, das Peter Urban mit untrüglichem Sinn für Sprachgestus, Rhythmus und Klangfarbe des Originals einfühlsam in die deutsche Sprache gebracht hat.

Der Jury gehören an:

Urs Allemann | Lyriker, Literaturkritiker

Renate Birkenhauer | Herausgeberin der Straelener Manuskripte, einer zweisprachigen Edition europäischer Lyrik

Michael Braun | Literaturkritiker, Herausgeber div. Lyrikanthologien

Joachim Sartorius | Lyriker, Übersetzer, Literaturkritiker; Herausgeber div. Lyrikanthologien

Norbert Wehr | Literaturkritiker, Herausgeber der
Literaturzeitschrift „Schreibheft