Marcel Beyer

 

Blaue Noten auf weißem Papier

 

Von mir aus muß sich niemand

mehr die Haare machen.

Von mir aus gibts jetzt jeden

Tag nen Blumenstrauß.

 

Wie schräge Vögel sich die

Stirn frisieren: Leute,

vielleicht macht ihr euch euren

eignen Reim darauf

 

im Blatt – Blättchen sind eine

völlig andre Sache.

Fortan will ich der Töne

leichte Beute sein,

 

nur wer nen guten Ansatz

hat, kann auch parlieren.

Von mir aus streiche ich mit

meinem Pork Pie Hat

 

nun jeden Tag ums Haus, durchs

Viertel und vergleiche

– moonlighting dort, sitting in

hier – die Jazzkeller

 

von Wuppertal bis Dortmund

bis nach Wanne-Eickel.

Von mir aus schmeiße ich in

Zukunft jede Nacht

 

zum Kehraus eine Saalrunde

Ballantines. Oder

drei. Oder vier. Denn ich bin

der Töne leichte

 

Beute, und von mir aus gibts

zum Frühstück ab heute

jeden Tag blaue Noten

auf weißem Papier.

 

Aus dem Manuskript

Gedichtbände von Marcel Beyer, zuletzt:
Dämonenräumdienst (2020)

Marcel Beyer tritt gemeinsam mit Uljana Wolf und Marie-Luise Knott beim Aichinger-Memorial auf.


Marcel Beyer | Geboren 1965 in Tailfingen. Studium der Germanistik, Anglistik und Literaturwissenschaften in Siegen. Er schreibt Gedichte, Romane, Essays und Libretti und lebt heute in Dresden. Friedrich-Hölderlin-Preis und Peter Huchel-Preis 2021.

Beyer verwirbelt in ausgefeilten Improvisationen das Inventar seiner Sozialisation, die Einrichtungsgegenstände, die Tier- und Fabelwesen sowie die popkulturellen Prägungen, und es entstehen ganz neue Muster und Textwelten. Der Humor, der da am Werk ist, verweist in Abgründe, die mit Plüsch ausstaffiert und deshalb umso horrender sind. Dieser Lyriker vermengt das Schöne und das Schreckliche zu etwas ganz Neuem.

Helmut Böttiger