Joachim Sartorius
Die Gedichte liest die Schauspielerin Claudia Frost vom Theater Münster.
Es gibt politische Gedichte ohne Zahl. Es ist ein Meer. Hängt man der These an, dass jedes Gedicht […] gesellschaftliche Relevanz hat […], so hat man es mit einem Ozean „politischer“ Gedichte zu tun. Bei der Zusammenstellung dieser Anthologie und ihrer Engführung waren daher zwei Definitionen von zentraler Bedeutung: Was ist ein politisches Gedicht? Und wann ist ein politisches Gedicht ein gutes, ein gelungenes Gedicht? Für mich heißt ein Gedicht dann ein politisches Gedicht, wenn es ein politisches Thema hat, also der Anlass, das Gedicht zu schreiben, ein politischer gewesen ist, oder wenn der Autor mit dem Gedicht eine politische Absicht verfolgen und es in einen politischen Kontext stellen will. Ein politisches Gedicht soll also Nachrichten über politische Realität enthalten. Fast immer überschneiden sich Ethik und Ästhetik in einem politischen Gedicht. […] ln diesem Rahmen gibt es Gedichte mit guter Botschaft und von zweifelhafter Machart, und es gibt gute Gedichte mit zweifelhafter Botschaft. Das Urteil, ob es sich um ein Kunstwerk handelt, muss ästhetisch gefällt werden und ist letztlich ganz subjektiv. Ich habe versucht, Gedichte aufzunehmen, die sich politische Themen vornehmen, keine einfache Moral haben und imstande sind, Komplexität des Nachdenkens und der Gefühle zu erzeugen.
aus: Niemals eine Atempause. Handbuch der politischen Poesie im 20. Jahrhundert.
Herausgegeben von Joachim Sartorius.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014.
Buchveröffentlichungen, zuletzt:
Mein Zypern oder die Geckos von Bellapais. (2013)
Joachim Sartorius | Geboren 1946 in Fürth. Studium der Rechts- und Politikwissenschaften in München, London, Straßburg und Paris. Er arbeitete im diplomatischen Dienst in New York, Istanbul und Nikosia, war Generalsekretär des Goethe-Instituts und Intendant der Berliner Festspiele. Darüber hinaus ist er als Lyriker, Herausgeber und Übersetzer bekannt. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er lebt in Berlin.
Dass Sartorius trotz vieler Weglassungen eine aufregende Anthologie gelungen ist, verdankt sich seiner Entscheidung, das Zeitalter der Extreme nicht aus eurozentristischem Blickwinkel zu betrachten, sondern die Katastrophen des Jahrhunderts in ihre internationalen Kontexte zu rücken.
Michael Braun
In seinem Vortrag Privatsekretär des Mondes erinnert Joachim Sartorius an Wallace Stevens.
