Esther Kinsky
Auch ich werde eines
tages dastehen wie die da
klein und mit einer
zu großen tasche vergessen
dass alle alten frauen solche taschen tragen
voll mit den trocknen
häuptern von blumen
die rascheln wenn ihre hände
hinabfahren zwischen die
hortensienköpfchen die wisprigen
lippen der iris runzlige altrosen
sterne der phlox die noch leuchten
ganz unten
wo sich alles anfühlt
wie altes papier wie
verworfene briefe
verschwendete zettel und listen
des niegetan.
aus: bisher unveröffentlicht
Buchveröffentlichungen, zuletzt:
Am Fluss. Roman. (2014)
Naturschutzgebiet. Gedichte und Fotografien. (2013)
Fremdsprechen. Gedanken zum Übersetzen. (2013)
Esther Kinsky | Geboren 1956 in Engelskirchen. Nach 15 Jahren in London lebt sie mittlerweile in Berlin und Battonya (Ungarn), wo sie als Übersetzerin für polnische, russische und englische Literatur sowie als Autorin tätig ist. Franz-Hessel-Preis 2014.
Die Sprache selbst ist […] ein Abbild des Geschilderten. In weiten interpunktionslosen Bögen erstreckt sich das Gedicht, wie von einer, die sich mit beseelten, raumen Schritten die Umwelt aneignet, ein beinahe hymnischer Zugang, dessen Euphorie mit ungewöhnlichen Zeilenbrüchen gezügelt und manchmal infrage gestellt wird.
Jürgen Brôcan
