Wang Jiaxin

 

Eine Ankunft

Für M.

 

Wie im Traum, wenn ich aufschaue,
streicht wieder ein Flugzeug am Himmel vorbei
in dieser schönen langen Sommerdämmerung.
Doch ich weiß, Wunder werden sich nicht wieder einfinden,
auch ich bin nicht mehr der Mann, der mit frischen Blumen
am Ausgang eines Flughafens wartet.
Die aufgeblühten Monatsrosen sind überzählig,
ebenso überzählig sind Treue und Untreue.
Mir ist lang schon wie Asche zumute.
Heute habe ich Frieden mit dem Schicksal gemacht,
in der stillen Dämmerung halte ich eine Schere in der Hand
und wiederhole eine alte nutzlose Kunst,
solange bis die Nacht einbricht.
 

Juli 2000, im Augarten von Changping bei Peking

 

aus: Dämmerung auf Gotland. Gedichte. Übersetzung aus dem
Chinesischen und Nachbemerkung von Wolfgang Kubin.
A-Ottensheim: Edition Thanhäuser 2011

Gedichtveröffentlichungen, zuletzt:
Solitude. Fragmente. Übers. v. Wolfgang Kubin, in : Akzente 5/2005
Gedichte der Winterzeit. Übers. v. Frank Kraushaar, in: Literaturzeitschrift Edit 25, 2001


Wang Jiaxin | Geboren 1957 in der chinesischen Provinz Hunan. Lyriker, Übersetzer (u.a. von Paul Celan und Durs Grünbein), Literaturkritiker und Hochschullehrer. Lebt nach Aufenthalten in Deutschland, England und den USA jetzt bei Peking in einem Dorf, in dem Maler und Dichter unter Bauern leben. 

 

Wang Jiaxin zählt als Vertreter der posthermetischen Schule zu den einflussreichsten Lyrikern Chinas. In seiner schlichten Sprache erreicht er eine emotionale Tiefe, aus der heraus er Alltägliches und Politisches verhandelt und immer wieder Bezüge außerhalb des chinesischen Kulturkreises sucht.

(Julia Buddeberg, Deutsch-chinesisches Kulturnetz)