Nora Bossong

 

Leichtes Gefieder

Vielleicht zu spät, als eine Krähe
unsern Morgen kappt. Ein Schlag.
Und ob sie fällt und ob sie weiterfliegt –
Ich frag zu laut, ob du noch Kaffee magst.
Dein Blick ist schroff, wie aus dem Tag gebrochen.
Es riecht nach Sand. Du fragst mich, ob ich wisse,
dass Krähen einmal weiß gefiedert waren.
Ich lösch die Zigarette aus, ich wünsch mich
weg von hier, ich möchte niemanden,
ich möchte höchstens einen andern sehen.
Du nennst mich: Koronis. Ich zeig zum Fenster:
Sieh doch, die Aussicht hat sich nicht verändert!
Was gehen dich die Stunden an, die du nicht kennst?
Ich will nur Mädchen sein, nicht in Arkadien leben.
Dein Nagel scharrt noch in der Asche,
doch du bist still, als wärst du fort.
Ich bin zu leicht für deine Mythen.
 

aus: Sommer vor den Mauern. Gedichte. München: Carl Hanser 2011.
Peter-Huchel-Preis 2012

Buchveröffentlichungen, zuletzt: Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Roman ( 2012)
Reglose Jagd. Gedichte ( 2007)


Nora Bossong | Geboren 1982 in Bremen, lebt in Berlin. Lyrikerin, Romanautorin. Sie studierte in Leipzig am deutschen Literaturinstitut und an der Humbodt-Universität Berlin Philosophie und Komparatistik. 2012 erhielt sie den Peter-Huchel-Preis

Die Lyrikerin hat sich die scheinbare Beiläufigkeit zum Stilprinzip erkoren und erweist sich gerade durch den frappanten Beziehungsreichtum des Unspektakuären als eine der größten Begabungen der jungen Literaturszene.

Wulf Segebrecht