Ausgewählt und eingesandt von:
Mirjam Springer
Vielen Dank!

Friederike Mayröcker
Masse des Mondes (18.3.1981)
von Friederike Mayröcker
es schwirrt
empor und schmilzt
im Baum des Vogels
Lied im frühen
März im kahlen
Auge
Quelle: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte 1939–2003. Hrsg. von Marcel Beyer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2019.
die Überflutung (13.5.1985)
von Friederike Mayröcker
ist das diese Schön-
blindheit : Frühsommerjahre mit
Schwalben, Robinien, diese Über-
flutung?
zusammengeknüllt auf dem Sofa viele
Papiervögel die in den Süden
ziehen ..
geh ich doch nicht am Stab wie einst
steifgefrorener heiliger
Nikolaus, winters, dieses
Maijubilieren, dieses Schmettern und
Frühlingswerk, gilt mir noch,
Spätling ich, und ich sah und siehe,
die Wolke und halbe
Zeit längst vorüber, schlieszlich den
Rhein in seiner strömenden
Wiege
Quelle: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte 1939–2003. Hrsg. von Marcel Beyer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2019.
an eine Mohnblume mitten in der Stadt (29.5.1985)
von Friederike Mayröcker
aus meinen Köpfen sprieszt
das Feuerwerk der Tränen, der
Flieder rostet, der Liguster
weht, die Camouflage des
Sommers läszt Gewitter ahnen –
Wolfsmilch besamt die Flur, die
Stare fallen, Mücken
flirren im Dorngebüsch, das
abgewelkte Blühen einer
Wolke von erbsengrüner Kirschenfrucht
gekrönt –
samt aufgeprägten kaiserlichen
Doppeladlern – Portraits auf roten Ziegeln – bröckelt
die Friedhofsmauer ab
gestützt nur noch von immergrünen
Efeuranken –
im Aufwind flügelschlagend
steht
raubvogelgleich mein Herz nach Beute äugend
Quelle: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte 1939–2003. Hrsg. von Marcel Beyer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2019.