Ilma Rakusa


Naturgemäß
                                              für H. C. Jenssen

Vielleicht Brandung mit einer farbigen Steinreihe.
Dahinter Wasser, hell oder dunkel wie Tinte,
schäumt und atmet alle Nuancen von Licht.
Anderswo knäueln sich die Farben, bilden
weiche wollige Wesen. Oder zerfasern im Raum.
Wuselnde Tupfen in Blau, Ocker, Grau, die
sich zanken und zausen vor lautem Strichgewitter.
Aber da rötet sich ein Ball, mutiert zur Purpurrose,
und wir ahnen ein Bukett. Blumen schweben
oder nicht, Blumen. Wie Mohn und umgeben
von wogendem Tanz. Schwimmt hier ein Fisch?
Blüht dort ein Feld? Ist das zum Sechseck geordnete
Spiel eine Spiegelung? Etwas reibt sich, etwas
berührt sich. Das Auge dringt fragend in diese
Natur. Sucht ihren Grund. Und sieht: er ist
Oberfläche. Und sieht: er ist Schlund.  
 

aus: Ilma Rakusa. Impressum: Langsames Licht. Gedichte.
Literaturverlag Droschl 2016.


Weitere Buchveröffentlichungen:
Einsamkeit mit rollendem „r“. Erzählungen. (2014)


Ilma Rakusa | Geboren 1946 in Rimavská Sobota, Slowakei. Studium der Slawistik und Romanistik in Zürich, Paris und St. Petersburg. Heute lebt sie in Zürich und ist als Übersetzerin, Publizistin sowie Lehrbeauftragte tätig. Berliner Literaturpreis 2017.

Bei allen filigranen Sprachspielereien haben ihre Texte auch immer einen handfesten Bezug zum Hier und Jetzt. Ihr lyrisches Ich will nicht nur rühren, es kann auch anfassen. Es kreist viel um sich selbst, verspinnt sich jedoch nie in hermetische Kokons, es tänzelt traumsicher um Dinge und Zustände, es staunt angesichts der Schönheit, scheut aber nicht die aktuellen Widrigkeiten der Welt.


Franz Haas